Gibt es einen Weihnachtsmann?
nach einem Stück von Jonny Hill

Eines Morgens, es war im vorigen Jahrhundert, fand der Chefredakteur einer New Yorker Zeitung auf seinem Schreibtisch folgenden Brief eines achtjährigen Mädchens:

Lieber Redakteur,

ich bin 8 Jahre alt. Einige meiner Freundinnen sagen immer, es gibt gar keinen Weihnachtsmann. Mein Papa aber sagt, wenn es in der Zeitung steht, ist es wahr.

Bitte sag mir doch die Wahrheit: Gibt es einen Weihnachtsmann?

Katja Steinberg

Der Redakteur Frank Busch übernahm die Beantwortung nur zögernd und ungern. Doch dann begann er geschwind Zeile um Zeile aufs Papier zu werfen, und so entstand der folgende Brief.

Seit fast einem Jahrhundert lesen ihn Millionen von Zeitungslesern Jahr für Jahr in der Weihnachtsnummer und schätzen ihn als ehrlichen Ausdruck für die Gefühle, die das Menschenherz zur Weihnachtszeit bewegt.

Liebe Katja,

Deine Freundinnen haben nicht recht. Sie leiden an einer Krankheit, die ihnen freilich erst später Schmerzen bereiten wird, die aber dennoch eine böse Krankheit ist. Gib acht, daß nicht auch Du von ihr ergriffen wirst. Es ist ein Leiden der Seele. Wir Erwachsenen nennen es Zweifelsucht, Unglauben, Herzensarmut. Deine Freundinnen und die anderen, die es ihnen eingeredet haben, meinen, sie seien wer weiß wie klug, weil sie nur das für wirklich halten, was sie mit ihren Augen sehn und mit ihren Händen greifen können.

Nun kleine Katja, stell Dir einmal die ganze weite Welt vor, mit Bergen und Seen, Flüssen und Meeren und dem endlosen Himmel darüber mit seinen vielen, vielen Sternen. Stell Dir einmal vor, was es da für Wesen gibt, im Wasser und in der Luft und auf der Erde. Der Mensch ist nur eines unter Tausenden und noch dazu ein winzig kleines, nicht mehr als ein Käfer oder eine Ameise. Wie sollte dieser Mensch mit seinem kleinen Verstand alles sehn, alles erkennen und alles wissen?

Tja Katja, es gibt einen Weihnachtsmann, so gewiß wie es Wärme und Fröhlichkeit, Liebe und Güte gibt, die man ja auch nicht mit seinen Augen sehen, mit seinen Händen greifen kann. Und doch gibt es sie. Das fühlst Du doch. Und bringen sie nicht Schönheit und Freude in Dein Leben?

Ach wie traurig wäre die Welt ohne den Weihnachtsmann. So traurig, als ob es keine kleinen Katjas mehr gäbe, keine Märchen, keine Lieder, keine Dichter, die Geschichten schreiben, nur noch Leute, die niemals spielen und niemals lachen.

Da wären wir doch alle verloren. Und das Licht, das ewige, das nie ausgeht, mit dem ihr Kinder die Welt erhellt und das mit jedem neuen Kind neu geboren wird, würde für immer erlöschen.

Nicht an den Weihnachtsmann glauben! Da braucht man auch nicht mehr an Feen und Elfen zu glauben. Niemand sieht den Weihnachtsmann, das beweist aber nicht, daß es ihn nicht gibt. Die wahrhaft wirklichen Dinge dieser Welt können weder Kinder noch Erwachsene sehen.

Hast Du schon einmal Feen auf einer Wiese tanzen sehn? Natürlich nicht! Das beweist aber nicht, daß sie nicht gerade jetzt dort tanzen. Niemand kann all die unsichtbaren Wunder dieser Welt begreifen, niemand kann erklären, warum wir uns über eine Melodie, ein Gedicht, den Duft einer Blume, den Mondenschein freuen, warum sie unser Herz mit Glück erfüllen und warum die Menschen, mögen sie Kinder oder Erwachsene sein, sehr arm sind, die keinen Sinn für die ungreifbaren Dinge haben.

Du kannst wohl eine Kinderrassel auseinander nehmen, um zu sehn, wieso sie eigentlich klappert. Über die unsichtbare Welt aber ist ein Schleier gebreitet, den selbst der stärkste Mann aller Zeiten nicht zerreißen kann. Nur der Glaube, die Liebe können diesen Schleier ein klein wenig lüften und die dahinter verborgenen, übernatürliche Schönheit und Kraft schauen.

Ist dies alles Wirklichkeit? Oh Katja, es gibt nichts wirklicheres und beständigeres auf dieser Welt. Der Weihnachtsmann? Gott sei Dank! Er lebt und wird ewig leben, noch in tausend Jahren, was sage ich, kleine Katja, in zehn mal zehntausend Jahren, wird er noch die Herzen der Kinder höher schlagen lassen."